Diagnose

Diagnose und Erscheinungsbild

Auf den folgenden Seiten geben wir Ihnen einen Überblick über die Diagnose von Autismus. Dies dient Ihrer Information. Wir sind ausschließlich ein Therapiezentrum und führen keine Diagnostik durch.


Der Begriff Autismus (griechisch autos = selbst) will den (vermeintlichen) Rückzug auf sich selbst ausdrücken. Die Kernsymptomatik autistischer Kinder, Jugendlicher und Erwachsener ist daher eine tiefgreifende Beziehungs- und Kommunikationsstörung.
Die Auffälligkeiten lassen sich gemäß dem DSM IV, einem international gebräuchlichen Diagnoseschema, in den Bereich der sozialen Interaktion, der Kommunikation und der Aktivitäten/Interessen zuordnen (siehe Diagnose-Tabelle). Dabei müssen nicht alle Punkte zutreffen, sondern jeweils eine bestimmte Mindestanzahl. Das DSM IV sieht die Diagnose frühkindlicher Autimus - ein Begriff, der auf Leo Kanner zurückgeht, der 1943 eine Gruppe autistischer Kinder beschrieb - dann gegeben, wenn zusätzlich zu den in der Tabelle genannten Kriterien folgende Bedingungen vorliegen:
Beginn vor Vollendung des dritten Lebensjahres und Verzögerungen oder abnorme Funktions- fähigkeit in mindestens
einem der folgenden Bereiche:
            1. soziale Interaktion,
            2. Sprache als soziales Kommunikationsmittel oder
            3. symbolisches oder Phantasiespiel
Früher galten ca. zwei Drittel autistischer Menschen als geistig behindert.
Die Frage nach der Intelligenz der Betroffenen muss heute differenzierter betrachtet werden und offener gehalten werden denn je. Es gibt immer noch Anhänger der alten Befunde. Diese sind jedoch nicht mehr in der Form haltbar.
Durch die Erfahrungen, die mit der so genannten "gestützten Kommunikation" gemacht wurden, wurde deutlich, dass viele autistische Menschen über Kapazitäten in der Schriftsprache verfügen und von ihrem Sprachniveau her nicht als geistig behindert einzustufen sind. Sie sind dann allerdings - trotz ihrer intellektuellen Fähigkeiten mehr oder weniger "lebens- und alltagspraktisch behindert".
Die Ausprägung des Autismus hat eine große Variationsbreite, es gibt stärker und milder betroffene Menschen. Im letzteren Fall kann das Kind oder der Jugendliche, besonders bei Normalbegabung, nahezu unauffällig sein. Dann wird er zwar als Sonderling hervorstechen, die Umwelt nimmt aber die dahinter stehenden Probleme nicht wahr. Nach Asperger, der parallel zu Kanner in den 40er Jahren in Österreich den Begriff "autistische Psychopathen" prägte, spricht man hierbei von Asperger-Autismus.
Man hat sich auf wissenschaftlicher Seite immer wieder gefragt, ob Asperger-Autismus auf dem "dünnen Ende" des Kontinuums des Autismus-Spektrums liegt, oder ob es sich um eine eigene, für sich stehende Störung handelt, die nicht als eine milde Form des frühkindlichen Autismus zu betrachten ist. Das Diagnose-Schema DSM IV hat Asperger-Autismus jedenfalls unter eine eigene Rubrik gefasst.
Bei Asperger-Autismus findet man im Gegensatz zum frühkindlichen Autismus in der Regel keine Sprachentwicklungsauffälligkeiten oder Verzögerungen der kognitiven Entwicklung, d.h. es ergibt sich bereits in den ersten beiden Lebensjahren ein anderes Bild.
Aufgrund der großen Variabilität des Erscheinungsbildes, zu dem sich neben den beiden genannten Hauptdiagnosen auch noch atypische Entwicklungsverläufe gesellen, spricht man häufig vom " Spektrum autistischer Störungen ".
Dabei können der Grad der autistischen Ausprägung sowie auch das Ausmaß des vorhandenen kognitiven Potentials unabhängig voneinander variieren. Gerade bei hoch autistischen Menschen wurden z.B. Fähigkeiten in Lesen und Schreiben (gestütztes Schreiben) gefunden.
Rolf M. Seemann
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Häufigkeit
Bei Autismus geht man von einer Vorkommenshäufigkeit von vier bis fünf Kindern unter 10.000 aus.
Neuere Angaben, die auch mildere Ausprägungsformen berücksichtigen, nennen gravierende Angaben: Nach Prof. Poustka kann man davon ausgehen, dass 1 bis 1,2 % der Bevölkerung von einer autistischen Störung betroffen sind.
Es sind deutlich mehr Jungen autistisch als Mädchen (3 bis 4 Jungen auf ein Mädchen). Bei Asperger-Autismus ist das Geschlechterverhältnis noch extremer, es gibt Angaben, wonach es sich auf 8: 1 (Jungen-Mädchen) beläuft.
Mädchen trifft die Störung also deutlich seltener (was bei vielen Entwicklungsstörungen der Fall ist), sie scheinen aber, wenn sie autistisch sind, tendenziell stärker betroffen zu sein als Jungen.
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Verlauf 
Die autistische Störung hat mit ihrer Ausprägung und ihren Schwierigkeiten einen Verlauf. Im früheren Diagnose-Schema DSM-III-R wurde dies auch diagnostisch berücksichtigt, indem man eine Symptomliste des jüngeren Kindes extra aufführte (Tab. 1), dort finden sich jene Aspekte, die z.B. den familiären Alltag schwierig gestalten und die das Kind auch schon früh auffällig machen. Neben diesen Auffälligkeiten gibt es inzwischen auch Hinweise auf frühe Merkmale, die autismusspezifisch sind und damit für die Diagnostik bedeutsam:
Das eine ist die Fähigkeit eines Kindes, ein " Tu-als-ob "-Spiel zu zeigen, d. h. an Puppen oder Tieren oder Gegenständen ein Rollenspiel zu zeigen unter Einbezug der Phantasie (symbolisches Spiel). Z. B. füttert das Kind eine Puppe mit einem Löffel, obwohl keine Speise im Teller ist oder auf dem Löffel. Der Löffel kann auch nur ein Stab sein, alles was fehlt, wird dazuphantasiert. Auch die Puppe wird dabei lebendig.
Das andere ist eine Form des Zeigens. Das Kind zeigt auf etwas und drückt dabei in etwa aus, "das finde ich toll, was meinst du dazu... .?" Das ist ein erklärendes und deutlich machendes Zeigen, nicht um etwas haben zu wollen, sondern nur um die Aufmerksamkeit der Bezugsperson auf etwas zu lenken. Man nennt dies das Herstellen einer " geteilten Aufmerksamkeit ".
Beide Verhaltensweisen sind bei Autismus stark beeinträchtigt und der Unterschied zu nicht-autistischen Kindern kann bereits mit anderthalb Jahren gesehen werden.
Solche Kriterien sind natürlich für eine Früherkennung und -förderung als sehr wichtig zu erachten!
Im Verlauf der Entwicklung kristallisieren sich die autistischen Symptome zwischen dem 2.und 6. Lebensjahr immer mehr heraus, im Schulalter zeigen Betroffene oft das klassische Bild der Störung, d. h. Stereotypien, soziale Zurückgezogenheit, eingeschränkte Kommunikationsfähigkeit, auffällige Sprache.
Bis zur Pubertät wiederum kann eine gewisse Anpassung an die Anforderungen der Umwelt gelingen. Die Pubertät selbst ist im Verlauf der autistischen Störung als kaum berechenbarer Einschnitt zu betrachten. Bei einem nicht unerheblichen Teil der Betroffenen (bis zu einem Drittel) tritt eine Symptomverschlechterung ein, fast ebensoviele entwickeln epileptische Anfallsleiden. Hyperaktive Kinder können nach der Pubertät zu hypoaktiven, d.h. trägen Jugendlichen werden.
Im Erwachsenenalter kommt es häufig zu einem Abklingen der augenscheinlichen Symptomatik, d.h. auf den ersten Blick ist die autistische Störung nicht zu erkennen.
Jedoch ist auch bei einer hohen Anpassungsleistung, die sich gerade bei den sprechenden, kognitiv nicht eingeschränkten Betroffenen im Zusammenhang mit den zunehmend besseren Rahmenbedingungen (frühe DiagnosesteIlung, therapeutische Versorgung, Verständnis für die Schwierigkeiten, Bemühungen um schulische und berufliche Integration) entwickeln kann, nach wie vor die autistische Grundstörung vorhanden.
Das bedeutet, dass in der Regel die soziale Integration lebenslang erschwert bleibt.
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Prognostische Kriterien
Prognostische Kriterien für den Verlauf und die Anpassungsfähigkeit sind die Sprache, besonders der sinnvolle Gebrauch von Sprache, und die Intelligenz. (Nach heutigen Kriterien muss dies näher spezifiziert werden auf "gezeigte Intelligenz", da bisherige Verlaufsstudien immer nur die messbare, demonstrierte Intelligenz berücksichtigten.).
Da das Thema "Autismus" vor allem über den Film "Rain-Man" in das Bewusstsein der breiten Bevölkerung gelangte, hier noch ein paar Erläuterungen:
Der von DUSTIN HOFFMANN gespielte Rain-Man ist ein Beispiel für einen autistischen Erwachsenen mit Restsymptomen in der Motorik (auffälliges Gehen, Körperschaukeln), mit Veränderungsängsten, enormen Anpassungsproblemen an lebenspraktische Tätigkeiten und vor allem auffälligem Kommunikations- und Beziehungsverhalten.
Heute sind durch die Medien auch andere autistische Menschen einer breiten Masse an Interessierten vorgestellt worden bzw. haben sich selbst vorgestellt. Z.B. TEMPLE GRANDlN, Spezialistin für Entwurf und Bau technischer Anlagen zur Viehhaltung. Sie selbst sagt von sich, dass man sie heute wohl als Asperger-Autistin diagnostizieren würde, dass sie aber als Kind sicher dem frühkindlichen Autismus zugeordnet worden wäre.
Dies als Beispiel für die diagnostischen Zuordnungsschwierigkeiten, die sich bei einer Verlaufsbetrachtung ergeben, wo sich Symptome auch bessern können.
Abschließend möchte ich auch auf das Erleben der Betroffenen selbst noch eingehen.
Es ist wichtig zu berücksichtigen, dass ein Heranwachsender mit autistischer Symptomatik sein Anderssein, besonders seine soziale Isolation, erleben kann und darunter leidet, was sogar zu depressiven Episoden führen kann.
Möglicherweise erkennen auch Kinder ihr Anderssein, ihre Einschränkungen. Dann können ihre Blockaden nicht nur durch die Wahrnehmungsverarbeitungsstörungen entstehen, sondern aus der psychischen Situation heraus (vielleichtdurch das Erleben von Angst, Depression, u. a.).
Deshalb kann man nicht genug hervorheben, wie wichtig neben den immer neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen die Eigenaussagen Betroffener sind, damit wir unser Ziel erreichen:
Mit Autismus leben - Kommunikation und Kooperation
(Motto der 9. Bundestagung des Bundesverbandes "Hilfe für das autistische Kind", 1998)
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